Wächtersbach. Nach diesem Vortrag geht man gewiss mit offeneren Augen durch Fachwerkstädte wie Gelnhausen oder Wächtersbach, man wird Ausschau halten nach Fachwerkfiguren wie Männern, Feuerböcken oder Andreaskreuzen. Der erste Stammtisch mit Charakterköpfen des Altstadtfördervereins Wächtersbach in diesem Jahr stieß im Altstadtcafé „Tally´s“ auf großes Interesse. Enesa Aumüller hatte Vorstandsmitglied Dirk Säufferer als Gast zu dem Thema Zierfachwerk in Wächtersbach und Gelnhausen eingeladen.
Fachwerkhäuser gebe es in Deutschland ungefähr seit 1250. In Amorbach gebe es etwa das Templerhaus von 1291. Dann geht es auch schon mit Gelnhausen los: Hier sind zum Beispiel das gotische Haus in der Kuhgasse und das alte Brauhaus am Romanischen Haus zu nennen. Sie stammen aus der Zeit um 1350. Wächtersbach hingegen blühte in der Renaissance erstmals auf, nicht nur mit dem Ausbau des Schlosses und dem Bau des Kirchturms. Hier sind das alte Rathaus von 1495 zu nennen, ca. 50 Jahre jünger ist der Rumpenheimer Hof. Seit dem Mittelalter sei Zierfachwerk verwendet worden, zum einen zur Repräsentation, zum anderen zur Dämonenabwehr. Symbole, die Unheil abwenden sollen wie etwa das Andreaskreuz seien in die Fassade eingebaut worden. Daraus wurden ab etwa 1530 die allgegenwärtigen „Feuerböcke“, also geschwungene, häufig verzierte Andreaskreuze. Andreaskreuze sind uralte heidnisch-christliche Symbole zur Abwehr von Unheil. In Gelnhausen und Wächtersbach findet sich jeweils ein Beispiel, wo man mit Andreaskreuzen Schlafzimmer markiert hat – zur Sicherheit für den Brandfall.
Prägend für unsere Fachwerkaltstädte seien aber die Männer in vielfachen Varianten: Von spätmittelalterlichen Vorstufen über den Frankenmann, den nordhessischen Hessenmann, den Wilden Mann und den Schutzengel-Mann. Im Absolutismus um 1700 und später während der Empfindsamkeit um 1750 entwickelten sich Sonderformen, die in Gelnhausen den Untermarkt prägen: „Im Absolutismus wurden die Menschen entmenschlicht“, das ist laut Säufferer die Botschaft der Mannfigur am Untermarkt 3, während man gegenüber am Eiscafé eilige Männer beim Fliehen beobachten kann. Solche fliehenden Männer gibt es in Wächtersbach auch in der Pfarrgasse 3.
Der Giebel des Rathauses in Michelstadt war offensichtlich Vorbild für den elf Jahre jüngeren Giebel des alten Rathauses in Wächtersbach. An beiden findet man dieselben spätmittelalterlichen Mannvorstufen, gerahmt von Andreaskreuzen.
Der Gelnhäuser Bürgermeister nannte Baudenkmäler in Gelnhausen jüngst „Schrottimmobilien“. Dem Referenten ist es wichtig, dass solche Bezeichnungen wieder aus der Welt kommen. Kulturdenkmäler seien kein Schrott. Leider schlügen sich die Fehleinschätzungen des Bürgermeisters derzeit bei der Sanierung des Fürstenhofs nieder. Dieser stamme im Kern aus dem Mittelalter, verfüge aber über bedeutendes Zierfachwerk, das noch nicht einmal richtig erforscht sei. Nun wird dieses Zierfachwerk mit Schindeln verkleidet. „Diese Schindelverkleidung kann und darf keinen Bestand haben“, so der Referent.
Diskutiert wurde die Historie des Rumpenheimer Hofs in Wächtersbach, der derzeit die Volksbank beherbergt. Er ist nach vorliegenden Informationen gleich alt wie der Fachwerkaufbau des Fürstenhofs (1549) und verfügt erkennbar über dieselbe Bauweise. Wenn sich diese Datierung bewahrheiten sollte, verfügen beide über Mannfiguren, die es vor 1550 in Hessen eigentlich gar nicht gab. „Die Fachwerkforschung ist seit längerem auf der Suche nach Hessens ältesten Männern“, erläuterte der Referent. Sind sie etwa hier zu finden? Und sind beide Gebäude in einem Zug erbaut worden?
Ab 1770 dominierte der Klassizismus. Für Zierfachwerk war kein Raum mehr, vielmehr war Fachwerk eher schambesetzt. Fachwerk wurde verputzt oder verschindelt und häufig erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt, so in Gelnhausen anlässlich des Hessentags. Irritationen lösten deshalb ein Diskussionsbeitrag aus, wonach es nicht nur am Fürstenhof, sondern auch am Obermarkt eine Fachwerkfassade neuerlich unter Putz gelegt werden soll.
Dr. Eberhard Wetzel berichtete aus seiner langjährigen Erfahrung mit der Sanierung von Fachwerkhäusern und wies darauf hin, dass gerade auf diesem Gebiet die Denkmalbehörden häufig inkonsistent handelten.
Der aktuelle Stand zum Zierfachwerk ist abrufbar unter www.altstadt-waechtersbach.de/zierfachwerk. Die Arbeit wird bis zu einer späteren Drucklegung fortgeschrieben.
Der Dank der Vorsitzenden Enesa Aumüller galt dem Referenten und Chantal Bräscher, der neuen Pächterin des Altstadtcafés, die ihr „Tally’s Café“ eine Woche vor der offiziellen Eröffnung für diesen Stammtisch zur Verfügung stellte. Den leckeren Kuchen können die Teilnehmer jedenfalls empfehlen.